Die Wirtschaftskrise nach dem Ersten Weltkrieg zwang viele Österreicher ihre Heimat zu verlassen, bevorzugtes Ziel waren die Vereinigten Staaten von Amerika. Besonders viele Emigranten, und zwar fast ein Viertel von insgesamt ca. 11.000, waren Burgenländer.
Die Vorstellungen der Auswanderer – fast ausschließlich junge Männer – von der Neuen Welt waren durchaus unterschiedlicher Natur: Die einen hatten vor für immer dort zu bleiben und ihr Glück zu finden, manche hatten im Burgenland schon Familie, die sie später nachholen wollten, die anderen hatten sich zum Ziel gesetzt, nur ein paar Jahre zu arbeiten und sich mit dem Ersparten in der alten Heimat etwas aufzubauen.
Als die USA die Einreisebestimmungen verschärften, mussten die Auswanderungswilligen nach anderen Zielländer Ausschau halten. Viele Burgenländer versuchten ihr Glück in Brasilien, Argentinien oder Kanada.
Alles in allem dürften laut Schätzungen um die 160.000 Burgenländer bzw. deren Nachfahren in der Neuen Welt leben, die meisten davon in den USA. Dort haben die Migranten ein äußerst gutes Netzwerk aufgebaut, es gibt zahlreiche Gesangs- und Sportvereine und der größte Verein, die Burgenländische Gemeinschaft (BG), fördert mit zahlreichen Aktivitäten die Heimatverbundenheit seiner Mitglieder. (Quelle: Dorfchronik „800 Jahre Marz“, Seite …)
Einer dieser Auswanderer war der Großvater Veronika Pinters, die hier die von ihrer Mutter Hilda Millisits erzählten Erinnerungen wiedergibt:
Mein 1900 geborener Großvater Mathias Redl wuchs vaterlos in ärmlichen Verhältnissen auf. Nach absolvierter Spenglerlehre und der Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg beschloss er, in der Ferne sein Glück zu suchen. Die wirtschaftliche Situation im Burgenland war prekär und es war nicht einfach das Geld für die Überfahrt nach Brasilien zusammen zu bekommen. Er nahm jede erdenkliche Arbeit an und nachdem er einen Wald von ca. einem Hektar geschlägert hatte, konnte er die Fahrkarte bezahlen. Seine Verlobte musste er zurücklassen, was deren Vater gar nicht so unrecht war, denn dieser hätte gerne einen reichen Schwiegersohn gehabt.
Mehr als die Adresse eines vor Jahren schon nach Rio de Janeiro ausgewanderten Wieseners hatte mein Großvater zwar nicht, aber der Abenteuerwille einerseits und die Not andererseits siegten. Gemeinsam mit einigen anderen Emigranten fuhr er mit nicht viel mehr als einer Holztruhe Platz fand, mit dem Zug nach Bremen. Nach sechs Wochen Schiffsreise kam er in Brasilien an und traf dort auch bald den Landsmann aus Wiesen. Der hatte zwar keine Arbeit für ihn parat, riet ihm jedoch, am Hafen Arbeit zu suchen. Dort fand er auch gemeinsam mit anderen Einwanderern einen Arbeitgeber, und zwar einen Ingenieur, der auf Brückenbau in der Wildnis spezialisiert war.
Die Brücken, an deren Aufbau mein Großvater mitarbeitete, stehen noch immer und sind Zeugnis des ungeheuren Fleißes und Anpassungsfähigkeit der Auswanderer. Diese hatten es in der Fremde wahrlich nicht leicht, die Hitze – mehr als 40 Grad bei schwerer körperlicher Arbeit – machte ihnen zu schaffen. In guter Erinnerung hatte mein Großvater das Essen in Brasilien, es gab Fleisch und Gemüse in Hülle und Fülle und obwohl er schon 25 Jahre alt war, wuchs mein Großvater in dieser Zeit noch einige Zentimeter! Das Leben in der Wildnis war jedoch äußerst gewöhnungsbedürftig, die Männer mussten wilde Pferde einfangen und zureiten, um irgendeine Möglichkeit zu haben, die nächstgelegenen Dörfer zu erreichen. Die ausgewanderten Arbeiter wurden von den Einheimischen – wie es leider meistens vorkommt – anfangs nicht mit offenen Armen, sondern mit Misstrauen empfangen. Erst nach einiger Zeit gelang es ihnen, Kontakte zu knüpfen und Beziehungen aufzubauen.
Nach vier Jahren erst kam mein Großvater wieder zurück und konnte endlich meine Großmutter heiraten. Da die wirtschaftliche Lage im Burgenland noch immer nicht besser war, beschloss das junge Paar gemeinsam auszuwandern, dieses Mal nach Argentinien. Mein Großvater wollte nicht wieder nach Brasilien zurück, da er seiner jungen Frau das Leben im Regenwald nicht zumuten wollte.
Deshalb wählten die beiden Argentinien, wo sie auch fünf Jahre blieben und drei Kinder, von denen leider das erste verstarb, bekamen. Eigentlich hatten sie nicht vor zurückzukehren, da sie mit dem Leben in Buenos Aires zufrieden waren, Freundschaften schlossen und auch ein Haus bauten. Da jedoch der Schwiegervater mit einer beträchtlichen Mitgift lockte, verließen sie Argentinien wieder und kamen nach Marz zurück, wo sie bis zu ihrem Tod lebten.
Die Abenteuerlust meines Großvaters übertrug er auf seinen Sohn, der 1953 nach Neuseeland auswanderte. Meine Großeltern erzählten uns Enkelkindern häufig von Südamerika und weckten auch in uns die Lust und Neugier für fremde Länder, die wir allerdings „nur“ in Form von Reisen entdeckten.